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Heiße Diskussionen in Sitzenroda
von unserem Redakteur Nick Leukhardt
Sitzenroda. Ein Vortragsabend der Landtagsfraktion der Grünen zu „Rechten Strukturen in Nordsachsen“ fand großen Zulauf. Die anschließende Diskussionsrunde wurde rege genutzt.
„Rechte Strukturen in Nordsachsen“. Unter diesem Titel lud am vergangenen Dienstagabend die sächsische Landtagsfraktion der Grünen ins Sitzenrodaer Vereinshaus ein, um dort nicht nur in einem Vortrag Informationen zu vermitteln, sondern auch angeregte Diskussionen zu führen. Und das gelang. Die Torgauer Zeitung war ebenfalls bei der Veranstaltung mit vor Ort und wird im Folgenden über die drei wichtigsten Bestandteile der Veranstaltung berichten.
Die Vorträge
Zwar fungierte an diesem Abend die Landtagsfraktion der Grünen als Gastgeber, der erste Vortrag erfolgte jedoch von einem Mitglied der Recherchegruppe chronik:LE, die sich auf die Dokumentation faschistischer, rassistischer und diskriminierender Ereignisse in der Stadt und dem Landkreis Leipzig sowie dem Landkreis Nordsachsen spezialisiert hatte. Steven Hummel, so der Name des jungen Referenten, konzentrierte sich an diesem Abend in erster Linie auf den Landkreis Nordsachsen und ging auf verschiedene Vorkommnisse und Aspekte ein, in denen im Landkreis in der Vergangenheit rechte sowie auch rechtsextreme Strukturen erkennbar waren und auch nach wie vor sind.
„Insgesamt 54 Ereignisse mit rechtsextremem Hintergrund ereigneten sich im Jahr 2018 in Nordsachsen“, erklärte Referent Hummel den knapp 30 Anwesenden. „Die konzentrieren sich schwerpunktmäßig vor allem auf die Städte Taucha, Oschatz, Torgau und Delitzsch.“
Ein besonders herausragendes Beispiel für rechtsextreme Bewegungen führte Hummel mit den jährlich stattfindenden Konzerten in dem Torgauer Ortsteil Staupitz an. „Exakt zehn Konzerte mit bis zu 250 Teilnehmern finden hier jedes Jahr statt. Die Bands sind dabei zu großen Teilen der rechten oder sogar rechtsextremen Szene zuzuordnen und kommen dabei nicht nur aus Deutschland, sondern sind oft international.“ Besonders Letzteres sei dabei ein interessanter Fakt, da solch ein Aufkommen internationaler rechter Bands in Sachsen fast schon einzigartig ist „ In der Szene ist es bekannt, dass hier die Konzerte in einer Regelmäßigkeit stattfinden können. Das zieht natürlich an.“
Angesprochen wurde auch das Spektrum aufrechter Demokraten rund um seinen Vorsitzenden Sandro Oschkinat. „Dies sind zwar keine direkten Neonazis, aber man sollte es trotzdem beobachten“, sagte er. Weiter bezeichnete er das Spektrum als „Querfrontprojekt mit rechtspopulistischer Ausrichtung“, da es versucht, mehrere Ideologien miteinander zu verbinden und rechte wie auch linke Ansichten einzubinden. „Durch die Tatsache, dass es mit Sandro Oschkinat einen Vorsitzenden hat, der zwar mittlerweile kein AfD-Mitglied mehr ist, sich in der Vergangenheit aber klar auf deren Seite positionierte und 2017 sogar für sie in den Bundestag wollte, ist das Spektrum jedoch auf der rechten Seite einzuordnen.“ Im weiteren Verlauf des Vortrags wurde außerdem noch der Mordversuch an einem jungen Syrer im Jahr 2017 auf dem Torgauer Marktplatz, welcher erst gegen Ende des Prozesses für ein größeres mediales Echo sorgte, angesprochen.
„Die rechtsextremen Entwicklungen in unserem Freistaat geben meiner Ansicht nach wirklich Grund zur Sorge“, führte Valentin Lippmann, seines Zeichens innenpolitischer Sprecher der Landtagsfraktion der Grünen in Sachsen, in seinem anschließenden kurzen Vortrag aus. Seiner Ansicht nach gebe es vor allem drei Indikatoren für das Wachstum der rechten Szene in Sachsen. Dies sei zum einen die ständig wachsende Zahl an Immobilien, die regelmäßig von Mitgliedern der rechten Szene genutzt werden. Dies seien aktuell knapp 60 Stück im gesamten Freistaat.
„Ein weiteres Zeichen ist die Zunahme von Veranstaltungsformaten wie etwa sogenannten Zeitzeugenvorträgen, bei denen ehemalige Wehrmachts- oder SS-Offiziere aus dem zweiten Weltkrieg berichten. Diese Veranstaltungen erfahren einen immer stärkeren Zulauf und ziehen nicht nur das klassische Neonazi-Spektrum an, sondern andere Organisationen und identitäre Bewegungen wie etwa den 3. Weg.“ Als dritter Punkt wurde außerdem noch das zunehmende Konzertgeschehen innerhalb der rechten Szene angeführt, welches mit dem Beispiel von Staupitz bereits zuvor zur Sprache gekommen war.
Die Diskussion
Zwar bildeten die beiden Vorträge den Kern der Veranstaltung am Dienstag-Abend, einen Löwenanteil der Zeit (alles in allem dauerte die Veranstaltung knapp zweieinhalb Stunden; Anm. d. Red.) nahm jedoch die anschließende Diskussionsrunde ein. Ein wichtiger Punkt, der dabei immer wieder angesprochen wurde, war die ausschließliche inhaltliche Beschränkung der Veranstaltung auf rechte sowie rechtsextreme Vorkommnisse. „Warum ist die Chronik:LE denn auf dem linken Auge komplett blind?“ lautete dazu ein Vorwurf aus dem Publikum. Diesem entgegnete Steven Hummel ganz sachlich mit der Erklärung, dass man sich innerhalb der Recherchegruppe eben genau auf diese Themen konzentriert habe und daher auch ausschließlich diese dokumentiere. Linke Gewalt sei natürlich ebenfalls ein großes Problem, in dem Rahmen dieser Veranstaltung jedoch nicht das Thema.
Ebenfalls ein wichtiger Punkt, den vor allem der mit anwesende Belgern-Schildauer Stadtrat Matthias Schulze (Grüne) in einer langen Diskussion ausführte, war die um eine respektvolle und gesittete Diskussionskultur. Denn obwohl die Debatten im Vereinshaus größtenteils friedlich abliefen, kochten an mehreren Stellen doch die Emotionen hoch und der Ton wurde rauer und lauter. „Ich kann es nicht nachvollziehen, wie man eine Übertretung aus einem moralischen Spektrum, wie etwa durch die Anwendung von Gewalt, damit rechtfertigt, dass andere das auch machen,“ führte Schulze aus. „So schraubt sich die Spirale der Gewalt immer weiter nach oben. Und das Einzige, was wir doch hoffentlich alle wollen, ist ruhig und konfliktfrei leben.“
Doch natürlich wurden in dieser Runde auch inhaltliche Fragen gestellt. So wurde von einem der Anwesenden zum Beispiel die Frage gestellt, ob denn der Antisemitismus in Deutschland gestiegen sei. Eine Frage, die Valentin Lippmann mit einem deutlichen „Ja“ beantwortete. „Erst vor Kurzem wurden die aktuellen sächsischen Zahlen zu diesem Thema veröffentlicht, welche zeigen, dass vor allem der Antisemitismus von rechts einen starken Anstieg erfuhr.“
Auch das Thema Präventionsarbeit wurde von einer Dame im Publikum angesprochen. „Was kann man machen, um solche rechtsextremen Schwingungen abzufangen?“ Auch hier blieb der Grünen-Politiker die Antwort nicht schuldig. So gebe es vor allem drei zentrale Punkte, die für eine erfolgreiche Prävention wichtig seien. „Erstens: die Bekämpfung des Informationsdefizites vor Ort. Man muss die Menschen aufklären über Strukturen, Hintergründe, Verhalten und mehr, damit diese auch unterschwellige rechte Schwingungen erkennen können. Außerdem muss eine aktive Beratung von staatlicher Seite stattfinden. Und das nicht nur im Bereich von Verbänden oder Kommunen. Viele Mietverträge für Immobilien, die dann für rechtsextreme Zwecke genutzt werden, werden sich regelrecht erschlichen. Hier muss es Beratungsstellen geben, die in solchen Fällen helfen und erklären, was gemacht werden kann.“ Als dritten und für ihn wichtigsten Punkt sprach Lippmann die Zivilgesellschaft an, die gerade in der heutigen Zeit Stärke zeigen und aktiv werden sollte. „Wir brauchen eine Gesellschaft die klar macht, wo die Grenzen sind. Nur so können wir Radikalisierung, egal in welche Richtung, verhindern.“
Die Stimmung
Auch wenn natürlich vor allem die inhaltliche Komponente der Veranstaltung für eine Berichterstattung relevant ist, müssen doch in diesem speziellen Fall doch auch noch einige Worte zur allgemeinen Stimmung im Sitzenrodaer Vereinshaus verloren werden. Denn bereits vor dem eigentlichen Beginn formierten sich dort zwei ganz klare Lager, die sich vor allem während der Diskussionsrunde mit unterschiedlicher verbaler Intensität angingen. Noch bevor der erste Vortrag begonnen hatte, war durch die Platzierung der verschiedenen Zuhörer eine klare Linie durch das Vereinshaus gezogen. Direkt vor dem Podium saßen die einen Zuhörer, etwas abseits eine zweite Gruppe. Während sich auch unter den Gästen vor dem Podium Gäste befanden, die kritische Fragen anbrachten und sich teilweise auch als AfD- oder NPD-Politiker zu erkennen gaben, war es vor allem der hintere Bereich des Raums, der stark gegen Valentin Lippmann, Steven Hummel und andere Anwesende argumentierte.
Auch wenn vor allem während der Vorträge der gesamte Saal still war, musste Lippmann als Gastgeber während der Diskussionsrunde auf das Hausrecht verweisen und auf eine ruhige und gesittete Diskussion bestehen. „Wir wollen einander ausreden lassen“, war dabei ein Spruch, der mehr als einmal fiel. Schlussendlich wurden jedoch alle Diskussionen auf verbaler Ebene geführt und es kam zu keinerlei gewaltsamen Ausschreitungen.
„Die große Resonanz, auch aus den Reihen der rechten Szene, unserer Veranstaltung zeigt, dass wir damit wahrlich einen Nerv getroffen haben“, sagte Valentin Lippmann im Nachgang. „Es war eine schwierige Veranstaltung und ich finde es schade, dass an manchen Stellen die sachliche Diskussion auf der Strecke blieb. Am Ende war es jedoch für diejenigen, die sich dafür interessierten und die auch gewillt waren zuzuhören, ein informativer Abend.“
Kommentar: Wo ist die Diskussionkultur hin?
Es ist ein Thema, welches bereits in Dutzenden Kommentaren, Vorträgen, Kolumnen und Internet-Blogs breitgetreten wurde, für mich an genau dieser Stelle jedoch unbedingt auch noch einmal aufgegriffen werden muss. Denn wenn die Veranstaltung am Dienstag mir eine Sache gezeigt hat, dann dass die heutige Diskussionskultur immer weiter verschwindet. Ich habe innerlich wahrlich gefeiert, als Matthias Schulze diesen Punkt während der Diskussionsrunde ansprach und der komplette Raum, sowohl die Pro- als auch die Contra-Seite an seinen Lippen hingen und still waren. Denn es ist tatsächlich so. Die meisten Diskussionen, gerade wenn sie sich mit dem Thema „Rechts und Links“ befassen, werden derartig schnell emotional, dass am Ende keinerlei Chance mehr auf einen Konsens besteht. Doch nur so kann am Ende eine Lösung gefunden werden. Indem man sich zuhört, Argumente austauscht und dann am Ende auf einen Nenner kommt. Es ist dringend notwendig, sich wieder von solch einer emotionalen und teilweise auch wirklich ruppigen Art der Diskussion, wie sie auch am Dienstag in Sitzenroda praktiziert wurde, zu distanzieren und zu versuchen, Probleme pragmatisch und gemeinsam zu lösen. Nur so kann es funktionieren.